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Wochenlieder in der Passionszeit – Teil V

Der Name des zurückliegenden Sonntags Judica leitet sich ab vom Beginn der lateinischen Antiphon: „Judica me, Deus, et discerne causam meam de gente non sancta“ (Ps 43, 1); deutsch: Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache wider das unheilige Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten! 

Zentraler Gedanke ist der Gehorsam Christi, indem er auf seinem Leidensweg dem Menschen dient, aber auch unser Gehorsam, also unsere Antwort auf Gottes Handeln und Gebot. Folgende Wochenlieder werden am Sonntag Judica gesungen:

„O Mensch, bewein dein Sünde groß“ (EG 76)

„Holz auf Jesu Schulter“ (EG 97)

„O Mensch, bewein dein Sünde groß“ ist ein sehr altes Kirchenlied. Der zunächst etwas fremdartig anmutende Text führt uns in die Gedankenwelt der Reformationszeit. Sebald Heyden, Kantor und Rektor an der St. Sebaldschule zu Nürnberg, verfasste 1530 eine 21-strophige Passionsbetrachtung in Liedform auf Grundlage der Passionsberichte der Evangelien im Neuen Testament. Die ausladenden Strophen bieten dabei Raum für eine entsprechende Masse an Text. Als Rahmen setzte der Lieddichter zwei weitere Strophen, die sich bis heute – also ohne die eingefügte (eigentliche) Passionsgeschichte – in den christlichen Gesangbüchern finden (EG 76, GL 267). Bis weit in das 18. Jahrhundert wurde der Text vollständig in den Gesangbüchern abgedruckt, wogegen das Lied im 19. Jahrhundert zunächst verschwand. Erst in den neueren Gesangbüchern taucht es in der reduzierten 2-strophigen Fassung wieder auf.

Die Erzählung beginnt in der ersten Strophe mit der Geburt Christi: „von einer Jungfrau rein und zart für uns er hier geboren ward“, leitet sogleich über in das Passionsgeschehen „er wollt der Mittler werden. Den Toten er das Leben gab und tat dabei all Krankheit ab“ und schließt mit der besungenen Trauer über die menschlichen Sünden, deretwegen Jesus am Kreuz gestorben ist: „trüg unsrer Sünden schwere Bürd wohl an dem Kreuze lange“.  

Die letzte Strophe enthält wiederum ganz praktische Lehren für den Menschen im Diesseits: Dankbarkeit, Liebe und Gottesfurcht: „So lasst uns nun ihm dankbar sein“„die Lieb erzeigen jedermann“„wie Gottes Zorn die Sünde schlägt, tu dich davor bewahren“.

Bei Sebald Heyden gehören die Gnade Gottes und das praktische Handeln des Menschen in dieselbe Heilsordnung wie Weihnachten, Karfreitag und Ostern. Darin hat der glaubende Mensch in seiner jeweiligen Zeit einen Platz und kann auf diese Ordnung nicht nur in schwierigen Zeiten vertrauen.

Auch wenn die Sprache Sebald Heydens 500 Jahre alt ist und für unsere Ohren zunächst etwas ungewohnt klingen mag, so ist ihre Botschaft immer wieder aktuell. 

Die um etwas ältere Melodie wurde von dem Straßburger Ordensmann Matthäus Greitter im Jahre 1525 geschrieben. Sie umspannt den ausladenden Text in weiten Bögen und bewegt sich dabei äußerst dynamisch zwischen großer Ruhe und triumphaler Kraft, je nach Inhalt der zugehörigen Textzeilen. Mit großem Nachdruck kommt der Oktavsprung nach der Wiederholung des ersten Melodieteils bei den Worten „Den Toten er das Leben gab“ daher: das ist die große Hoffnung aller Gläubigen und dementsprechend auch der textliche und musikalische Höhepunkt der ersten Strophe des Liedes.

Das Kirchenlied „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ liegt verschiedenen kunstvollen musikalischen Bearbeitungen zu Grunde, von denen u. a. zwei von Johann Sebastian Bach hervorzuheben sind, die vor allem wegen ihrer genialen Verbindung von Text und Musik von unerreichter Meisterschaft sind: Orgelchoral BWV 622 im „Orgel-Büchlein“ und der groß angelegte Schlusschor des ersten Teils der Matthäus-Passion, BWV 244. 

In das Lied hineinhören oder auch Mitsingen kann man hier mit einem schlichten Choralsatz zu vier Stimmen von Melchior Vulpius:   

O Mensch, bewein dein Sünde groß

Und hier schließlich auch noch der bereits erwähnte Chor aus der Matthäus-Passion (BWV 244) von Johann Sebastian Bach – zum Hören und Genießen. Es ist eine Freude, zu sehen, wie hierbei auch Kinderstimmen einbezogen und an die großartige Musik Johann Sebastian Bachs herangeführt werden: 

O Mensch, bewein dein Sünde groß

 

Bleiben Sie gesund und seien Sie behütet.

 

 

Herzlichst,

Ihr Stefan Händel

Kirchenmusik Basdorf / Ökumenischer Kirchenchor Basdorf (ÖKB)

Alle bisherigen Wochenlieder finden Sie hier auf der Seite des ÖKB zusammengefasst.