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Oh du fröhliche Wohnzimmer-Christ-Vesper!

von Mathis Oberhof

 

 

Vorgeschichte

Zugegeben! Es war nicht mein erster außergewöhnlicher Heiligabend Gottesdienst! Neben dem (im wörtlichen Sinne) eindrucks-vollen Spaziergang durch die Berliner Innenstadt mit Schokoladenweihnachtsmännern und GlühweinThermoskannen vor zwei Jahren, hatten wir auch vor zwölf Monaten ein ganz besonderes Heiligabend-Erlebnis. Nachdem wir den November und Dezember an der portugiesischen Algarve verbracht hatten und feststellen mussten, dass der einzige deutschsprachige Weihnachts-Gottesdienst mehr als 100 km von unserem Standort entfernt stattfand, hatten wir uns schon damit abgefunden, die Christvesper in unserem Wohnmobil auf dem Campingplatz in der ARD-Fernsehübertragung aus dem mittelfränkischen Ansbach mit der Predigt des EKD-Vorsitzenden Bedford-Strohm zu erleben.

Hals über Kopf hatten wir aber am 24. Dezember vormittags beschlossen, die Heimreise anzutreten, weil eine schon über eine Woche anhaltende Magen-Darm-Grippe einfach nicht heilen wollte. Um Punkt 17:00 Uhr verließen wir den Campingplatz in Olhao, wo wir nun sieben ruhige Wochen an der warmen Atlantikküste verbracht hatten mit dem Ziel, um 22:00 Uhr einen Stopp für die Christvesper einzulegen. Die Autobahn war leerer als sonst und so kamen wir zügig voran. Irgendwo in der Nähe von Madrid suchten wir uns einen Stellplatz auf einem riesengroßen Autohof für Sattelschlepper, auf den sich aber um diese Zeit nur zwei Fahrzeuge verirrt hatten, und richteten unsere Satellitenschüssel gen Himmel. Ich werde diese Augenblicke nie vergessen, wie meine Frau und ich zusammen mit dem Kirchenchor in der entfernten Ansbacher Kirche „Vom Himmel hoch“ und „Oh du fröhliche“ sangen. Und ich stellte mir schmunzelnd vor, was sich ein zufällig vorbei schlendernder Spanier denken müsste, wenn er aus dem grünen Wohnmobil auf dieser Autobahnraststätte zwei frohe deutsche Stimmen das weltberühmte „Stille Nacht“ singen hören würde.

 

Aber wie wird die Christvesper im Coronajahr?

 

Nach diesen Vorerfahrungen freute ich mich umso mehr, dass im Corona-Jahr mein eigener Pfarrsprengel sich in der hitzigen Debatte „Dürfen Kirchen Sonderrechte im Lockdown beanspruchen?“ gegen Präsenz- und für digitale Gottesdienste zum Jahreswechsel ausgesprochen hatte.

In dieser Debatte war im Vorfeld der Begriff der „Wohnzimmerkirche“ genannt worden. Ich fand das ein schönes Wort. Es bringt auf den Punkt, dass Gottesdienste, auch religiöse Gemeinschaftserlebnisse nicht auf die geweihten Gotteshäuser beschränkt sein müssen. Selbst zur Risikogruppe gehörend hatten meine Frau und ich schon seit Beginn der Pandemie mit Freuden (fast) jeden Sonntag Gottesdienste und Predigten unserer heimischen Gemeinde und unseres Pfarrers am Handy oder Bildschirm verfolgt. Mal in der „Wohnzimmerkirche“, mal in der „Schlafzimmerkirche“ oder auch in unserer „Gartenkirche“.

 

Und dennoch: die Christvesper am Heiligen Abend ist seit meiner Kindheit natürlich mit normalen Sonntagsgottesdiensten nicht zu vergleichen. Als ich Kind war signalisierte mir das Singen „Oh du fröhliche“ zum Schluss des Gottesdienstes, dass nur noch wenige Minuten mich von der heiß ersehnten Bescherung trennen würden.

Aber auch später blieb das Zelebrieren der Geburt des Nazareners und die Verkündigung des zentralen Satzes: „Euch ist heute ein Heiland geboren“ unverzichtbarer Bestandteil meines Weihnachtsrituals.

Umso gespannter war ich darauf, was mich dieses Jahr erwarten würde.

Mit Ausnahme der Evangeliumslesung, die ich schon Tage vorher in klirrender Kälte mit großer Freude und Konzentration im eigenen Garten für diesen Gottesdienst auf Video aufgenommen hatte, wusste ich nicht, was auf mich zukäme.

Um Punkt 17:00 Uhr hatten wir uns zu viert vor dem großen Fernsehbildschirm versammelt. Nach 14-tägiger selbst gewählter Quarantäne waren Margots Tochter und ihr Ehemann zu uns zu Besuch gekommen.

Wie schön, dass bei geöffnetem Fenster, wenn auch aus  2 km Entfernung nur leise aber dennoch live die Kirchenglocken aus dem alten Basdorf zu uns herüberschallten. Und auch schön, zu wissen, dass die anderen beiden Kirchen in Wandlitz und Zühlsdorf synchron zur Feier der Geburt Jesu riefen.

In den folgenden 30 Minuten beeindruckte mich sehr das Krippenspiel. Es konnte –  diesmal mit verschiedenen Kameras an verschiedenen Plätzen aufgenommen-  natürlich viel größere Spiel-Räume nutzen als in einer überfüllten HeiligabendKirche. Wie eindrucksvoll die jugendlichen Darsteller*innen ihre Rollen ausführten! Und wie schön die filmische Umsetzung.

Für das Singen der Weihnachtslieder brauchte ich in meiner Wohnzimmerkirche weder das Gesangbuch noch an der Wand zur Liedertafel schauen, um zu lesen, welche Strophen gesungen werden. Denn der Text (wie ich das schon von Fernseh-Gottesdiensten mit erlebte) war direkt in den Bildschirm eingeblendet.

Und: ja, es geht, es ist wichtig und es öffnet das Herz, wenn auch im kleinen Kreise – hier nun der kleinen „Wohnzimmer-Kapelle“ – die gewohnten Weihnachtslieder gemeinsam gesungen werden.

Übertragen aus dem neuen Zühlsdorfer Gemeinderaum verfolgen wir die Predigt von Pfarrer Ludewig, der uns daran erinnert, dass auch die heilige Familie vor 2020 Jahren nicht in einer prunkvollen Kirche, sondern in einem einsamen Stall die Geburt feierten, und dass Gott weiß, wie es sich anfühlt, einsam zu sein.

Wie treffend und wie schön, dass in den Fürbitten je eine Kerze entzündet wird für all jene, die in der Pandemie die Hauptlast tragen mussten, Pflegekräfte und Krankenhauspersonal, eine Kerze für die Geflüchteten, die an Europas Grenzen darauf hoffen, „dass noch Platz in der Herberge sei“, schließlich eine Kerze für den Erhalt unseres Planeten und eine vierte, für die Wünsche, die jeder einzelne von Gott vortragen möchte.

In seiner Predigt sprach Pfarrer Ludewig  davon, dass er sich am Anfang des Jahres nie hätte vorstellen können, dass einmal ein Weihnachtsgottesdienst ausfallen könnte. Und ich denke mir: er ist doch gar nicht ausgefallen. Genauer gesagt: doch, es ist ein ausgefallener Heiligabend-Gottesdienst.

Das trifft es. Und das war mir ein schönes Heiligabend-Erlebnis. Und – wie ich finde – dem Wunder von Bethlehem angemessen.