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„Über Menschen“ Lesetipp

 

vDigitale Kircheon Juli Zeh,  Luchterhand 2021, 412 Seiten

Wie in ihrem Buch „Unterleuten“ ist der zweite große Roman von Juli Zeh wieder im „brandenburgischen Niemandsland“ – so nenne ich es – angesiedelt, also in Landstrichen, wo Menschen in kleinen Dörfern und Siedlungen ohne viel Infrastruktur ein gänzlich anderes Leben führen als in der Metropole Berlin. Gleichzeitig wird das Buch als „Corona-Roman“ propagiert, denn die Handlung ist im Jahr 2020 angelegt. 

Die Protagonistin, die junge Werbetexterin, Dora zieht sich aufs Land zurück, nachdem in Berlin ihre Beziehung zum Partner unter den besonderen Bedingungen der Corona-Pandemie in die Brüche ging. Ausgestattet mit einer gewissen Skepsis und der Angewohnheit, viele Dinge erst einmal zu hinterfragen lernt Dora schnell, dass ihre bisher so perfekt in den Mainstream passenden Ansichten nicht immer geeignet sind, die Welt zu richtig beurteilen. Die Kategorien Schwarz-Weiß, Gut und Böse, Stadt- oder Landlebenhelfen nicht in jedem Fall weiter.

Zum Besitzer des Nachbargrundstückes, der sich selbst als „Dorf-Nazi“ vorstellt, bauen sich über die Abgründe ihrer gegenseitigen ideologischen Einstellungen bald Brücken auf. Beim Lesen hat man den Eindruck, die Autorin Juli Zeh will mit einer gewissen Distanz auf viele Facetten unserer Gegenwart schauen. Wie in einem Kaleidoskop werden Fragen aufgeworfen, die sich um Karriere, Selbstdarstellung, Bewertung anderer Lebensentwürfe, Freundschaft, Flüchtlings- und Ausländerproblematik oder AfD-Politikdrehen und die dann immer wieder neu auf unterschiedliche Personen angewendet werden. Vielleicht ist der Bezug zum Astronauten  Alexander Gerst, dessen Videos aus dem All Dora in ihrer dörflichen Einsamkeit oft ansieht, eine Metapher dafür, einmal mit etwas Abstand die Vielfalt unseres Daseins mit all seinen Facetten ansehen und verstehen zu wollen. 

Der Handlungsablauf soll hier nicht weiter beschrieben werden; der Anreiz zum Lesen muss schließlich erhalten bleiben. Bemerkenswert fand ich die Passage, in der Dora darüber nachdenkt, wieso ein so reiches Land wie unseres sich Regionen leistet, wo es schlichtweg nichts gibt: keine Schulen und Kitas, keine Ärzte und Apotheken, keine Busverbindungen oder Sportvereine, wo Rentner nicht von ihrer Rente leben können und Alleinerziehende Mühe haben, ihre Kinder zu versorgen. In diesen nicht besonders privilegierten Regionen werden dann noch die Ländereien meistbietend an Investoren verkauft und Windräder angesiedelt. Wer das alles mit einem Fragezeichen versieht, wird sehr schnell verunglimpft als dummer Zeitgenosse oder gar als Demokratiefeind. 

Für mich ist „Über Menschen“ ein lesenswertes Buch, das unsere Gegenwart gut abbildet, dabei insbesondere die Generation Ü30 im Blick hat, wobei auch Fragen und Probleme offen bleiben. Mir fiel am Schluss des Buches diese chinesische Spruchweisheit ein, in der auf die Frage „Was ist wichtiger, der Weg oder das Ziel?“ die Antwort gegeben wird: „Die Weggefährten“. 

Im Klappentext des Buches heißt es:  Juli Zehs neuer großer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart und den Menschen, die sie hervorbringt. Von ihren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten. Und von ihren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn sie sich trauen Mensch zu sein.