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Eine museale Revolution in Berlin

Berühmte Werke von Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarotti, Sandro Botticelli und Raffaelo Sanzio da Urbino aus dem 15. Jahrhundert werden als hochwertige Kopien in der Parochialkirche in Berlin präsentiert.

Bereits zu Beginn des Jahres wurden die weltbekannten Werke von Claude Monet digital aufbereitet und in teilweise spektakulärer Manier dem Publikum vorgestellt (siehe digitale Kirche vom 3.2.2022). Die Begeisterung war damals  groß.

Mit ähnlichen Erwartungen besuchten wir nun die Ausstellung zur Kunst der Renaissance in der Parochialkirche in Berlin Mitte. Wir wurden nicht enttäuscht, obwohl es eine Ausstellung gänzlich anderer Art war. In der Kirche fühlt man sich schnell in eine Gemäldegalerie versetzt. Die Bildkopien der vier Meister (meist in Originalgröße) hängen nicht durcheinander, sondern sind in den vier großen Wandnischen der Kirche angeordnet. In passenden, üppigen Goldrahmen hängen sie an dunkelroten Stellwänden.

 

Zu Beginn des Rundganges stimmen Abbildungen der wichtigsten Kunstzentren Italiens, z.B. in Rom der Petersdom und die Vatikanischen Museen, in Florenz die Piazza della Signoria und der Palazzo Vecchio oder in Mailand der Domplatz auf einen Spaziergang durch die Kunst der Renaissance ein.

Auffallend ist, dass es hier in der Berliner Kirche, im Gegensatz zu den Originalschauplätzen wenig Publikum gibt. So hat der Zuschauer Muße, alles ungestört zu betrachten oder auch nach Belieben nah ans Bild zu gehen. Sowohl zu den Lebensläufen der großen Meister als auch zu den einzelnen Werken kann man ausführliche Erklärungen lesen. Manchmal werden Details aus den Bildern in gesonderten Videosequenzen gezeigt. Diese Darstellungen wirkten manchmal fast dreidimensional, was mir besonders bei Michelangelos Wandfries „Das Jüngste Gericht“ aus der Sixtinischen Kapelle im Vatikan auffiel. Man nimmt an, dass der Künstler diese monumentale Darstellung vom Entwurf bis zur endgültigen Ausmalung ausschließlich selbst angefertigt hat, was nicht unbedingt typisch für die damalige Zeit war. Die von der katholischen Kirche als unsittlich empfundene Nacktheit der Figuren wurde später teilweise übermalt. Das sorgte schon zu Lebzeiten Michelangelos für Meinungsverschiedenheiten und Zerwürfnisse zwischen  dem Künstler und den päpstlichen Auftraggebern. Die Deckenfriese in der Sixtinischen Kapelle fertigte Michelangelo ebenfalls selbst an, malte teils in liegender Position, erfand neue Farbmischungen und setzte sein ganzes Können und Wissen ein.

Die Präsentation seiner Skulptur des David holt den Zuschauer dann ganz schnell wieder in die Gegenwart. Die blendend weiße Nachbildung steht in vollendeter Schönheit vor dem Zuschauer, wird dann in verschiedenen Varianten so angestrahlt, dass Blumen und Efeu aus der Skulptur ranken, sie mit Gold übergossen wird oder sich im strahlend blauen Himmel mit den weißen Wolken aufzulösen scheint. Als das Gold und der blaue Himmel auf die Figur des David projiziert wurden, lag der Gedanke an die ukrainischen Nationalfarben nahe und der Wunsch kam auf, David möge auch in diesem Fall gegen Goliath siegen.

Aber die anderen Meister der Renaissance finden gleichfalls Beachtung und Bewunderung. Erstaunt war ich darüber, dass von der berühmten Mona Lisa von da Vinci http://www.die-mona-lisa.de/gemaelde.htm zwei Gemälde präsentiert wurden, das allseits bekannte aus dem Pariser Louvre und ein weiteres aus dem Prado in Madrid https://artinwords.de/madrid-prado-leonardo-und-die-kopie-der-mona-lisa/. Letzteres wurde erst kürzlich der Werkstatt Leonardo da Vincis zugeschrieben und nicht mehr als eine spätere Kopie interpretiert. Da Vincis Kunst des „sfumato“ kann man hier besonders gut erkennen, denn man kann, wie bereits erwähnt, die Bilder ausführlich und aus unmittelbarer Nähe betrachten. Sfumato (italienisch für rauchig, neblig) – so stellte da Vinci oft den Hintergrund seiner Bilder dar. Höchst filigran, aber eben wie unter einem Schleier, damit nichts vom Hauptmotiv ablenkt. Vom Gemälde der Mona Lisa gibt es so viel zu berichten (https://de.wikipedia.org/wiki/Mona_Lisa ). Wussten Sie, dass Mona nicht unbedingt der Vorname der abgebildeten Dame sein muss, sondern wahrscheinlich von Monna – der umgangssprachlichen Abkürzung von Madonna – herrührt?

Auch die Bilder Raffaels waren für mich von besonderem Interesse. 2019, bei einem Besuch in seiner Geburtsstadt Urbino, lernten wir das Werk Raffaels besonders schätzen. Wir wollten nach einem langen Tag voller Besichtigungen, vollgestopft mit neuen  Fakten und nach ermüdendem Auf und Ab durch die Straßen noch „schnell“ vor der abendlichen Schließzeit das Geburtshaus Raffaels besuchen. Ohnehin schon randvoll mit Eindrücken des Tages, erwartete ich nicht viel von diesem Museum. Doch in was für eine harmonische und schöne Welt tauchten wir dort ein!! Ich war, ich bin total begeistert und kann inzwischen verstehen, dass am Grab Raffaels im Pantheon in Rom bis auf den heutigen Tag täglich frische Blumen liegen. Zum 500. Todestag Raffaels gab es 2019/2020 im Palazzo Ducale in Urbino eine bemerkenswerte Ausstellung, die im Anschluss auch in Berlin gezeigt wurde https://www.zero39tv.com/2020-500-todesjahr-raffaels-den-auftakt-machen-urbino-und-berlin/   

Übrigens ist die Stadt Urbino mein Geheimtipp für besondere Orte in Norditalien.

Botticellis „Geburt der Venus“

 

Wie kommt die Ausstellung so alter Gemälde in der Parochialkirche nun zu dem oben erwähnten Untertitel, in dem von musealer Revolution die Rede ist? Man kann natürlich den Ehrgeiz entwickeln, so bedeutende Werke im Original anzusehen und über Kopien die Nase rümpfen. Aber ich habe es selbst erlebt, dass schon das Erstehen (im wahrsten Sinne des Wortes) von Eintrittskarten in Rom oder Florenz viel vom Enthusiasmus wegnehmen kann. Hat man dann endlich Zutritt zu den gewünschten Bildern oder Skulpturen, drängen sich nicht gerade wenige andere Besucher davor, auch die Aufforderung „nicht stehen bleiben, bitte weitergehen“ hat es schon gegeben. Ist eine Sammlung qualitativ hochwertiger Kopien, die anspruchsvoll präsentiert werden, nicht auch eine gelungene Variante, diese Bilder bekannt zu machen? Ich kann nachvollziehen, dass diese Art der Darstellung, so wie im begleitenden Flyer beschrieben, eben revolutionär ist. Konzentriert an einem Ort kann man Kunst genießen und Wissen erwerben, ohne aufwändig reisen zu müssen. Die wenigen Besucher dieser Ausstellung waren für uns eher von Vorteil, sprechen sie aber auch für den Erfolg dieser modernen Art, alte Kunstwerke zu zeigen? Nach einem Gespräch mit einer Angestellten am Einlass hörten wir, dass offensichtlich zu wenig Werbung für „Die großen Meister der Renaissance“ gemacht wurde. Aber müssten nicht gerade Schulklassen reihenweise in die Ausstellung kommen? Mit dieser Ausstellung kann doch die Periode der Renaissance anschaulich erklärt werden, gleichzeitig lassen sich Fakten schnell und einfach vermitteln und kann Interesse für die Kunst allgemein geweckt werden. Ich kann den Besuch dieser Ausstellung nur empfehlen.  

 

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