Es war sowieso ein berauschendes Fest. Ende September feierte die Gemeinde Wandlitz ihren 20. und das Barnim Panorama seinen 10. Geburtstag. Tausende von Besuchern kamen zu diesem Erntefest in die Breitscheidstraße. Herrliches Spätsommerwetter, mehr als 40 vielfältige und niveauvolle Stände von Handwerkskunst, ein riesiges Angebot für Kinder zum Spielen, Turnen und Natur-Erforschen, Drahtseilartisten und direkt vor unserer Wandlitzer Dorfkirche an der Friedenseiche eine Extrabühne mit der irischen Band „Sassenach“.
Etwas ganz Besonderes hatte sich unsere Kirchengemeinde ausgedacht. Unübersehbar lud schon am Zaun des Kirchgarten ein Transparent ein zum „Zelt der Dankbarkeit“. Im Pfarrgarten war harmonisch eingebettet in die neuen Skulpturen ein luftiges Zelt aufgebaut, das unter dem Eingangs-Schild „Wandlitzseegen“ junge und alte BesucherInnen einlud. Auf einer großen Wand hatten zuvor schon die TeilnehmerInnen des Erntedank-Gottesdienstes auf Pinnwand-Karten ihre Danksagungen geschrieben. Und als gegen 17:00 Uhr das Erntefest und auch das Zelt der Dankbarkeit endete, hatten ca. 60 Menschen knapp 200 Gründe für ihre Dankbarkeit aufgeschrieben und angeheftet.
Schon das Lesen dieser großen Dankestafel war ein berührendes Erlebnis, und so schaute das Ergebnis aus (in Klammern die Anzahl der Danksagungen zu diesem Begriff):
Wenig überraschend bildeten die Begriffe „Danke für die Familie (27), die Gesundheit (18) den Frieden (14), die Liebe, (13), für Freundschaft (12) die Spitzenreiter. Es wurde gedankt für das „gelebte Leben“ (9) für gesunde und liebe Kinder (9), für die Schule, LehrerInnen oder die Kita (6), für die Eltern, die Gemeinsamkeit und die Enkel (jeweils 5), für namentlich genannte Menschen oder auch den Kater (4), und ebenfalls viermal für die Heimat, die Nachbarn, für die Hoffnung, für Hilfe von anderen, für Achtsamkeit, für meinen Ehepartner, für das Urvertrauen (jeweils 3), und schließlich für Glück, für Gott, den Humor, die Musik, die Ruhe, die schöne Natur, und den Mut der Diskriminierten (jeweils 2 mal).
Aus den vielen Danksagungen, die nur einmal aufgeschrieben wurden, haben mich auch diese Sätze beeindruckt: „Dass es mir wieder gut geht“, „Dass ich in dieser Welt leben darf“, „Dass ich Liebe empfangen darf“, „Die Schönheit glücklicher Menschen“, „Dieses wunderbare Fest“, „Die Schönheit weiser Menschen“ oder auch ganz schlicht: „Danke für diesen Tag“. Öfters an diesem Tag musste ich an das populäre Kirchen-Lied denken, in dessen 10. Vers es heißt: „DANKE, dass ich DANKE sagen kann.“
Von so viel Dankbarkeit beseelt, herrschte eine heitere und vielleicht sogar ein bisschen heilige Stimmung in diesem Dankbarkeitszelt. Und so schien es auch mir als evangelischen Laien gar nicht aufgesetzt, sondern fast konsequent, dass ich für anderthalb Stunden junge und alte Menschen segnen durfte und konnte. Dabei erzählte ich auch eine ganz persönliche Geschichte, dass ich meinen Vater als praktizierenden Pfarrer nur in Kindheitstagen erlebte. Und dass ich seit dieser Zeit – egal welche Pfarrerin oder welcher Pfarrer am Schluss des Gottesdienstes die folgenden Worte aus dem 4. Buch Moses sprach, die Güte und Fürsorge meines leiblichen Vaters und eben jener göttlichen Macht verspürte, die mich zu allen Zeiten „wundersam geborgen“ (Bonhoeffer) begleitet.:
Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Natürlich formuliertem ich schon früher ab und zu im Brief oder im Gespräch mit anderen glaubenden Menschen: „Gott segne Dich“. Aber dies hier war etwas ganz anderes. Manche Kinder bekamen einen ernsthaften Ausdruck und ich hatte das Gefühl, sie fühlen sich gestärkt und bei dem ein oder anderen Erwachsenen kamen Tränen. Die dann meist auch ansteckend auf mich wirkten.
Welche Kraft vom Segen ausgehen kann! Das Wort kommt vom lateinischen Signum, was so viel wie Zeichen bedeutet. Das in die Luft gezeichnete Kreuz, aber auch das Zeichen des Handauflegens. Und im lateinischen wird das Segnen mit „bene dicere“ benannt, was sogar das Inhaltliche beschreibt „jemandem Gutes sagen, jemanden loben und preisen“. Ich fühlte mich selbst gesegnet in diesen Stunden und erlebte eine Erneuerung und Vertiefung des Spürens der Kraft religiöser Rituale. Der Volksmund sagt ja: „sich regen bringt Segen“. Ich erlebte an diesem Tag „Segnen bringt Segen“. (Irgendjemand sagte an diesem Tag: „sei ein Segen“ – auch das eine schöne Aufforderung!) Und ich erfuhr erneut, welche zentrale Bedeutung für Hoffnung und Glück die Dankbarkeit darstellt. Ich hatte erst vor wenigen Monaten diesen Satz gelesen: „Ich bin nicht dankbar, weil ich glücklich bin, sondern ich bin glücklich, weil ich dankbar bin!“